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gate-Startup Devanthro: Schöner neuer Mensch

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Rafael Hostettler, Geschäftsführer von gate-Startup Devanthro, tüftelt seit Jahren an einem humanoiden Roboter. Seine Pläne sind groß. Roboy soll den Pflegenotstand lösen – und dem Forscher ein Leben nach dem Tod ermöglichen

Rafael Hostettler legt Roboy die Hand auf die Schulter. Um ein paar Zentimeter überragt der 37-Jährige ihn, seine Statur ist ein wenig breiter, seine Bewegungen sind runder. Eines Tages möchte Hostettler mehr als das Leben haben, wie die Menschen es bislang kennen. Er möchte mehr erleben und erfahren, als in 100 Jahren möglich ist. Er möchte in den Körper von Roboy schlüpfen. Zunächst nur manchmal, wenn ihm die Anreise zu einem Meeting zu weit ist. Dann aber immer häufiger, wenn er etwas unternehmen möchte, aber es ihm im Alter zu anstrengend geworden ist, aus dem Bett aufzustehen. Und schließlich plant Hostettler, ganz mit Roboy zu verschmelzen: Nach dem Tod will er als Roboter unendlich weiterleben.

Ob es wirklich dazu kommt? Noch funktioniert eine derartige Transformation nicht, keiner weiß, was mit künstlicher Intelligenz eines Tages alles möglich sein wird. Doch Hostettler glaubt daran. Deswegen schraubt und tüftelt er seit acht Jahren in München an Roboy, dem Roboter, der wie ein Mensch aussieht und sich schon jetzt manchmal wie einer verhält.

Hostettler wuchs im schweizerischen Baden, einer Kleinstadt bei Zürich, auf. Er sei ein neugieriges Kind gewesen, sagt er über sich. Schon immer habe es ihn gewurmt, dass er in seinem Leben nicht alles verstehen, nicht alles erleben kann. „Roboter fand ich aber als Kind ziemlich langweilig“, sagt Hostettler. „Und ich finde sie auch heute noch langweilig. “Was ihn fasziniert, ist der menschliche Körper, die Interaktion.

In Zürich studierte Hostettler rechnergestützte Wissenschaften – und lernte an der Universität 2013 Roboy kennen. Rolf Pfeifer, ein beachteter Forscher im Bereich künstlicher Intelligenz, entwickelte dort einen humanoiden Roboter, den er Roboy taufte. Hostettler kümmerte sich damals um die Reparatur, wenn ein Teil kaputt ging, und reiste mit ihm um die Welt, um ihn auf Messen oder bei Firmen zu präsentieren. Als Pfeifer wenig später in Rente ging, wusste keiner, was aus Roboy werden sollte. Hostettler, der inzwischen nach München gezogen war und an der Technischen Universität an einem Forschungsprojekt arbeitete, holte ihn zu sich. „Ich habe ihn adoptiert“, sagt er.

Hostettler gründete daraufhin die Firma Devanthro, organisierte Forschungs- und Firmengelder, zeitweise arbeiteten 50 Angestellte, Studierende und Freiwillige an Roboy. Informatikerinnen und Physiker, aber auch Biologen und eine Anthropologin. „Ich selbst bin weder ein guter Maschinenbauer, noch ein guter Softwareentwickler“, sagt Hostettler. „Ich bin eher der Visionär.“ Ein großer Träumer.

Weltweit gibt es nur wenige Firmen, die humanoide Roboter entwickeln, vielleicht 20, schätzt Hostettler. Die Idee dahinter: Um menschenähnliche, künstliche Intelligenz zu erschaffen, ist es notwendig, zunächst einen humanoiden Roboter zu erschaffen. Denn künstliche Intelligenz kann nicht einfach programmiert werden, sie muss erlernt werden. Inzwischen ist die dritte Roboy-Version fertig. Hostettler bezeichnet ihn nicht mehr als Roboter, sondern als Robody, als robotischen Körper. Das große Ziel: Mit ihm sollen Menschen über Distanz interagieren und sich miteinander verbinden.

Der Roboter hat zehn Finger und zehn Zehen. Die Sehnen sind mit Schnüren nachgebildet, die Muskeln aus Metall. Blut fließt keines durch den Körper, sondern Strom. Roboy blinzelt mit großen Kulleraugen, sein Mund bewegt sich, wenn er spricht. Setzt Hostettler die Virtual-Reality-Brille auf und nimmt die beiden Controller in die Hände, kann er Roboy mit Telepräsenz steuern. Er sieht, was Roboy sieht. Er hört, was Roboy hört. Sogar sprechen lassen kann er ihn. Roboy hat eine Frauenstimme. Roboy kann bereits auf einem Fahrrad in die Pedale treten, er hat schon einmal Eis verkauft und als DJ aufgelegt. Vor wenigen Wochen war er zu Besuch in einer Seniorenresidenz am Starnberger See. Denn daran arbeitet Hostettlers Firma derzeit in Kooperation mit der Charité Berlin und dem Forschungszentrum Informatik in Karlsruhe: Roboy soll in der Altenpflege helfen. „Wir möchten den Pflegenotstand lösen“, formuliert Hostettler, der auch hier groß denkt. Sein Team entwickelt derzeit einen Prototyp, in zwei Jahren soll er fertig sein. Eines Tages könnten sich Millionen Pflege-Robodies auf der Welt um die ältere Bevölkerung kümmern. Sie sollen beim Duschen oder Anziehen helfen und Alarm schlagen, sobald eine an Alzheimer erkrankte Person sich verlaufen sollte. Pflegekräfte könnten sie über Telepräsenz steuern, ihren Rücken schonen und auch mal im Home-Office arbeiten. Auch andere Firmen auf der Welt arbeiten derzeit an solchen Robotern. Schöne neue Welt? Für Hostettler eher: fast schon Realität.

In der Seniorenresidenz am Starnberger See seien nicht nur die Pflegekräfte begeistert von Roboy gewesen, sondern auch die Bewohnerinnen und Bewohner, sagt Hostettler. Ein älterer Mann setzte sich gleich die VR-Brille auf. Roboy kommt wegen seiner freundlichen Mimik gut an, das ist Kalkül. „Ich will keinen Terminator kreieren“, sagt Hostettler. „Ich will den Menschen helfen.“ Bei Präsentationen und auf Messen erhält Roboy meist positive Reaktionen. „Er ist der am häufigsten umarmte Roboter der Welt“, sagt Hostettler.

Vor Kurzem ist seine Firma aus Garching ins Munich Urban Colab im Kreativquartier Neuhausen gezogen, ein neues Ideenzentrum für die Tech-Szene. Die Kisten sind noch nicht ausgeräumt, einige Regale noch leer. Hostettler ist nicht der typische Start-up-Typ. Er trägt schwarze Lederschuhe statt weiße Sneakers, im Getränkekasten stehen Spezi-Flaschen, kein Club Mate.

Wenn er von Roboy erzählt, benutzt er keine Manager-Floskeln, wirft nicht mit wissen-schaftlichen Fachausdrücken um sich. Er berichtet anschaulich von Roboy, als wären sie gemeinsam auf einer Abenteuerreise unterwegs. Wie er im vergangenen September mit Roboy zu einem Wettbewerb nach Miami flog, um die Telepräsenz-Lösung vorzustellen, sie aber leer ausgingen und er seine bislang schmerzlichste Niederlage einstecken musste, wie Hostettler sagt. Oder wie der Roboter demnächst lernen soll, sich am Kopf zu kratzen und traurig zu schauen.

Zu Beginn der Corona-Pandemie zog Roboy bei Hostettler ein, wochenlang lebten sie in einer Art Mensch-Maschine-WG zusammen. Als Freund würde Hostettler Roboy aber nicht bezeich-nen, er sieht ihn eher als Mahnmal. „Er erinnert mich daran, was wir erschaffen haben“, sagt der Forscher. „Doch er macht uns stets klar, dass der Weg noch weit ist, er mahnt uns, schneller zu werden.“

Ob Hostettler irgendwann statt mit dem Zug in die Schweiz zu fahren, Roboy hinschickt und ihn seine Eltern umarmen lässt? Ob in 50 Jahren wie in „Star Wars“ Roboter gemeinsam mit Menschen die Erde bevölkern? Ob Hostettler tatsächlich nach dem Tod weiterleben wird wie in der Amazon-Serie „Upload“, in der Menschen ihr Bewusstsein in ein digitales Jenseits hoch-laden? Und was würde dies mit uns allen machen? Wie würden sich Beziehungen anfühlen, wenn sie sich nicht mehr zwischen zwei Menschen, sondern zwischen Mensch und Maschine abspielen? Wie würde es das Leben verändern, wenn es für einen nach dem Tod auf der Erde einfach weitergeht? Hostettler würde es gerne ausprobieren. „Wenn es in die Hose geht, ist man tot“, sagt er. „Wenn man es nicht probiert, ist man auch tot.“

Nun sieht der Roboter erschöpft aus. Er sitzt auf einem Stuhl an der großen Fensterfront, eine Hängevorrichtung hält ihn aufrecht. Hostettler fährt das System herunter. Roboy klimpert noch einmal mit den Augen, dann baumeln die Arme schlaff herunter.

Fotos: Robert Haas

SZ Nr. 80, 6. April 2022 – Autorin: Lisa Sonnabend